, Dorn Brigitte
12.03.2025: Bericht Vortrag "Widerstand nördlich Lägern - Eine Reise durch die politische Landschaft der Tiefenlagersuche"
Der Vortrag wurde von Dr. Rony Emmenegger gehalten. Als Politgeograf erforscht er die politischen Prozesse der Tiefenlagersuche in der Schweiz aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. In seinem Referat zeigte er schrittweise den langwierigen und komplexen Prozess der Suche nach dem geeignetsten Standort für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz auf. Er beleuchtete insbesondere die Kommunikation und Kontroversen rund um die Geologie und deren Eignung für ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle. Zudem ging er auf die verschiedenen Widerstandsbewegungen ein, die gegen geplante Endlagerstätten vor Ort entstanden und seit den 1970er Jahren die politische Landschaft geprägt haben.
Wie er in seinem Vortrag ausführt, sind gerade die Verhältnisse unter unseren Füssen, die Geologie im Untergrund, für die meisten von uns schwer zugänglich: Die Geologie liegt verborgen, wie sehen sie nicht, können sie nicht anfassen, nicht selbstständig untersuchen und nicht interpretieren. Auch Fachpersonen kennen nur Ausschnitte davon, beispielsweise Bohrkerne oder seismische Messungen. Wir müssen uns auf die Interpretation dieser Ausschnitte und der daraus hergeleiteten Modelle und Modellierungen von Fachpersonen verlassen beziehungsweise ihnen vertrauen. Das heisst auch, wir müssen uns mit dieser Ungewissheit auseinandersetzten und den getroffenen Interpretationen Glauben schenken.
Sein Vortrag zeigt auf: Zu Beginn der friedlichen Nutzung der Atomenergie in den 1950er Jahren war die sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle weder weltweit noch in der Schweiz ein Thema. Der Glaube an schier unbegrenzte Machbarkeit und Möglichkeiten verdrängte Gedanken an daraus resultierende Folgen. Und tauchten dennoch solche Überlegungen auf, wurden diese mit Technologiegläubigkeit übergangen. Im Verlaufe der Zeit rückten die Fragen rund um die in immer grösserer Menge anfallenden radioaktiven Abfälle allerdings mehr und mehr in den Fokus der Allgemeinheit und der Politik. Allmählich nur entwickelte sich die Idee, Abfälle tief im Untergrund in einem Wirtsgestein zu vergraben. In der Schweiz begann die Suche nach einem Endlager erst in den 1970er Jahren, also einige Jahre nach der Inbetriebnahme des ersten Atomkraftwerks. Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft war dabei gefragt – aber bei weitem nicht gegeben.
Im Vortrag wurden die zahlreichen Anwesenden auf der Suche nach diesem Vertrauen durch die Geschichte der Endlagersuche für radioaktive Abfälle in der Schweiz geführt; ein Prozess, der zahlreiche Regionen im ganzen Land einbezog. Mit dem sogenannten Projekt «Gewähr» wurden die Suche nach möglichen Lagerstätten für schwach- und mittelradioaktive Abfälle sowie solchen für hochradioaktive Abfälle parallel vorangetrieben. In allen Regionen, in denen ein Endlager hätte gebaut werden sollen, regte sich Widerstand. Dieser Widerstand basierte – und basiert auch bis heute – auf mangelndem Vertrauen in die Erkenntnisse, Interpretationen und daraus gezogenen Schlussfolgerungen der Fachpersonen, welche vom Bund mit der Ausarbeitung einer Entsorgungslösung betraut wurden. Aus dieser Situation entwickelte Rony Emmenegger eine Karte des Widerstandes gegen die verschiedenen Endlagerprojekte. Besonders in Erinnerung ist das Vorhaben für die Entsorgung von schwach- und mittelradioaktivem Material im Kanton Nidwalden am Wellenberg geblieben. Doch weniger bekannt ist, dass sich bereits zuvor auch in anderen Kantonen Widerstand gegen geplante Endlagerprojekte formiert hatte, so beispielsweise im Kanton Uri am Oberbauenstock, im Kanton Graubünden im Calancatal, und im Kanton Tessin in Airolo, oder im Kanton Waadt im Gebiet Bois de la Glaive. Die Ablehnung des Projekts am Wellenberg führte schliesslich dazu, dass die mit der Entsorgung beauftragten Fachleute in den 1990er Jahre einmal mehr vor dem NICHTS standen.
Auch für die ausgedienten Brennstäbe von Atomkraftwerken, die sogenannt hochradioaktiven Abfälle, musste ein Lagerstandort gefunden werden. Innerhalb des Projektes «Gewähr» konzentrierte man sich dafür auf die Nordschweiz. Dieses Lager sollte im kristallinen Grundgebirge, das heisst in Granit, der tief unter der Erdoberfläche liegt, gebaut werden. Gegen diese Tiefenbohrungen regte sich schon bald Widerstand. Unter anderem wurde Jahre 1987 in Weiach gebohrt, immer tiefer und tiefer. Allerdings stiess man nicht überall auf die vermutete Granitschicht des kristallinen Grundgebirges. Dafür wurde der sogenannte Permokarbontrog entdeckt – der nicht nur die Geologie, sondern auch die Ungewissheit der geologischen Untersuchung offengelegt hat. Seit den 1990er Jahren hat sich der Fokus entsprechend von Granit auf die ebenfalls in der Nordschweiz vorhandene Opalinustonschicht verschoben, die seither als das präferierte Wirtsgestein für die Endlagerung geprüft wurde.
Im Jahre 2003 trat das neue Kernenergiegesetz in Kraft, in welchem der lokalen Bevölkerung das Veto gegen Endlagerprojekte entzogen wurde. Ab 2008 folgte der Sachplan geologisches Tiefenlager. Die Bevölkerung erhielt darin im Sinne einer Kompensation für das entzogene Vetorecht ein Beteiligungs- und Anhörungsrecht zugesprochen; sie konnte sich an der regionalen Partizipation beteiligen. Doch auch in den drei Regionen Jura Ost, Zürich Nord-Ost und Nördlich Lägern, in denen dieses Tongestein als genügend mächtig für die Beherbergung eines Endlagers vermutet wurde, erwuchs lokaler Widerstand. Der Verein LoTi, zu Beginn der Etappe 2 des Sachplans im Jahre 2010 gegründet, arbeitet in der Regionalkonferenz mit, als stete Stimme aus der Bevölkerung, die sich nicht scheute und scheut, kritische Fragen zum Tiefenlagerprojekt zu stellen.
Ein Einschub mit einem Gedankenspiel für Sie: Zurück zum Opalinuston, zum Tongestein. Wir alle kennen Ton (oder auch Lehm): Wenn es nass ist, fühlt sich dieses Gestein plastisch an, es quillt, ist beliebig formbar und lässt sich kneten, dabei ist er rutschig und keineswegs stabil. Trocknet das Gestein schrumpft es, es wird hart und spröde, bildet Risse und bröckelt – dies ist auch beim Opalinuston so. Wie soll nun Ihnen als Mitglied der Bevölkerung kommuniziert und erklärt werden, dass ausgerechnet dieses anscheinend instabile Gestein geeignet sein soll, die geologische Barriere für die Behälter mit radioaktivem Abfall zu bilden?
Wir kennen das Bild, das uns vermittelt wurde, und haben es vermutlich verinnerlicht: denn im September 2022 wurde der Standortvorschlag gesamtschweizerisch in folgendem Zitat allen Medien verkündet: «Die Geologie hat gesprochen». Die Kontroversen rund um das Tiefenlager für radioaktive Abfälle, das mangelnde Vertrauen in die vorgezeigte «Sachlage» und damit der Widerstand, sind allerdings nach wie vor geblieben.
Unser Referent, Rony Emmenegger, wagte es, durch eine Frage aus dem Publikum dazu aufgefordert, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Seiner Ansicht nach ist die Schweizer Bevölkerung insgesamt eher technologiegläubig und vertraut darauf, dass die Verantwortlichen in der Lage sind, ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle zu planen, zu bauen und zu betreiben – dass es « also technologisch machbar sei». Statt jedoch einfach blind zu vertrauen, sei auch die Bevölkerung in der Pflicht, sich mit der Geologie und der Wissenschaft auseinander zu setzen – ganz im Sinne der Nachvollziehbarkeit der Tiefenlagersuche.
Rony Emmenegger ist Politgeograf und erforscht seit 2019 die politischen Prozesse der Tiefenlagersuche in der Schweiz aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Seine Forschung ist Teil eines vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützten Projekts mit dem Titel „Politische Geologie der Tiefenlagerung radioaktiver Abfälle“. Das Projekt untersucht, unter seiner Leitung, die politische Rolle der Geologie in den Tiefenlagerprojekten in der Schweiz, Schweden und Deutschland. Weitere Informationen zu Inhalt und Ziel des Projekts sind auf der SNF-Homepage zugänglich (https://data.snf.ch/grants/grant/220005).
Folien des Vortrages von Dr. Rony Emmenegger
Weiterführende Informationen: Geographien des Untergrundes
Text: Brigitte Dorn, Vorstandsmitglied Verein LoTi - Bilder, Wicky Meyer, Vorstandsmitglied Verein LoTi